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 Halbzeit 
Wohnung Geschrieben von Beat Rubischon (Link) am Mittwoch, 27. Februar 2013, 10:14
aus dem *von-einem-der-auszog* dept.

Wie gut ist es, allein zu leben - ob ich es wohl jemals aushalte, mit jemand anderem immer zusammen zu sein? fragt sich Ellen und ich kann ihr nur beipflichten. Ein Monat leben ich jetzt alleine, fern meiner Lieben und es ist Halbzeit.

Das Wetter ist typisch Zürcher Winter. Grau, kalt, neblig - ich bin des öfteren zuhause, koche eine Kleinigkeit und lese viel. Unter der warmen Decke oder mit einer Tasse Tee am kerzenbeleuchteten Tisch ist es einfach gemütlicher als draussen auf den Strassen. Im Büro hat es unüblich viel Arbeit und ich verwende meine Flexibilität des öfteren dazu, etwas fertigzumachen, anstatt auf den 18:12 Zug zu rennen. Es wurde auch schon einmal der erste Zug am Morgen...

Trotz allem. Zürich ist ein grosser Topf voller Menschen, von denen ich einige kenne und anderen einfach über den Weg laufe. Viel geplaudert und philosophiert, hie und da einen Flirt, viel gelacht, viel geknuddelt. Der fehlende Weg zwischen Heim und Büro schafft Raum und Zeit für Begegnungen mit sich selbst und anderen.

Wie fingen es wohl andere an, um glatt durchs Leben zu kommen, und warum wurde es einem immer so schwer gemacht durch all dies Binden und Verpflichten.

Selten habe ich ein Buch gelesen, das so passend auf meine eigene Stimmung, Gedanken und Situation war. Fanny zu Reventlow schreibt von einer Welt, die so ganz anders ist als diese, die unsere Kultur vorgibt. Sie schreibt über Kunst, über Freundschaft und Trennung, über das Alleinsein, über das Elternsein. Ueber einen Umgang miteinander, in dem ich mich sehr wohl fühle, den ich in den letzten Jahren spärlich und in diesen Wochen intensiver leben durfte. Sie schrieb Ellen Olestjerne (epub2go macht ein nettes eBook daraus) vor über 100 Jahren, aus eigener Erfahrung, in München. Für die meisten Menschen war das Buch damals wohl voller esoterischen Schnapsideen und ich bin überzeugt davon, dass es das auch heute noch ist. Aber es passt auf mich, auf meine Ideen und Wünsche.

Ein zweiter Monat liegt vor mir, am 28. März werde ich rausgeschmissen. Ich hoffe auf einen baldigen Frühling, der mich wieder vermehrt nach draussen lockt. Viele Ecken sind mir begegnet, die ich mit meiner Kamera einfangen möchte und die sicher besser aussehen, wenn sie nicht schneebedeckt und meine Finger tiefgefroren sind. Die Kunst, die auch einen grossen Stellenwert im Buch findet. Für mich ist es nicht das Zeichnen - die Leidenschaft hinter dem Bild kenne ich aber genauso. Ellen eines Abends in Zareks Atelier:

Er rückte die Lampe zurecht und fing an zu zeichnen: »Das soll nicht etwa nur wie eine Hand aussehen – das ist kein Kunststück und jeder kann es lernen, einfach etwas nachzumachen – aber fühlen muß man, wie es darin lebt und zuckt. Sieh mal, wie es da weich in den Schatten hinübergeht – das herausbringen, die Bewegung, das Leben. Wozu malst du überhaupt, wenn du nichts dabei fühlst? Eine Zeichnung kann noch so schlecht sein, wenn nur eine Linie darin Empfindung hat.

Ich werde oft gefragt, was danach? Ich weiss es nicht, lasse das auf mich zukommen. Habe aber auch die Gewissheit, dass es sich so wie jetzt richtig anfühlt. Intensive, volle, entspannte und runde Tage. Ich kannte solche nur auf meinen vielen Reisen in den letzten Jahren, auf den Momenten, in denen ich ohne Druck mir Zeit nehmen konnte. Dieses Gefühl, dieses Leben zu einem Dauerhaften zu machen ist ein schöner Traum. Doch wer lebt, erlebt auch die Unberechenbarkeit des Lebens, ich bleibe davon nicht verschont. Pläne, Träume - alles ist so weit weg wie das Morgen, das noch dunkel unter der Nebelsuppe vor dem Fenster ruht. Das Jetzt ist wichtig, das Morgen und das Gestern unendlich weit weg.

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Das Kleingedruckte: Der Besitzer der folgenden Kommentare ist wer immer sie eingeschickt hat. Wir sind in keiner Weise für sie verantwortlich.

  • Re: Halbzeit
    Geschrieben von Diana am Mittwoch, 27. Februar 2013, 13:23

    liest sich schön.... danke