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 9/11 
Beat Geschrieben von Beat Rubischon (Link) am Donnerstag, 8. September 2011, 19:46
aus dem *erinnerungen* dept.

Heute war nicht mein Tag. Ich musste auf dem Weg nach Zürich dringendst eine Stunde schlafen, schrottete eine 3.6G MySQL Datenbank, konnte mich den ganzen Tag nicht wirklich zum Arbeiten motivieren. Selbst das Tippen dieses Postings braucht mehr Backspaces als normale Buchstaben. Ich hatte schlecht geschlafen, geträumt. Von Flugzeugen, grossen Häusern. Bilder, die vor 10 Jahren durch das Netz und über die Fernsehschirme flimmerten. Aber es war Wellness für die Seele von Beat, und ich habe trotz Müdigkeit eine gute Ruhe in mir.

10 Jahre ist es her. Ich sass in der ETH, vor meinen grossen Monitoren, werkelte auf "meinen" Servern und idelte im IRC. Irgendwann tauchte eine Zeile auf: Da fliegen Flugzeuge in Häuser.

Ich erlebte den grossen Zusammenbruch des Netzes. CNN, die ihre bunte und tanzende Webseite durch eine einfache, statische HTML Page ersetzte. An der ETH hatte ich zumindest einen direkten Link in die Staaten und konnte noch Dinge erreichen, die Otto Normalbenutzer an seinem heimischen ADSL schon lange nicht mehr sehen konnte. Dank an die Switch Leute in NY, die sich mit den Dieselkanistern wohl einen Bruch holten.

Nala war mit ihren Kids in der Nähe des Flughafens bei ihrer Mutter und ich hatte ein mulmiges Gefühl. Ging bezeiten nach Hause und war froh, alle wohlbehalten vorzufinden. Die Bilder der Tagesschau liessen wir uns nicht entgehen, auch wenn wir uns schnell klar waren, dass wir sie den Kids nicht zumuten sollten. Und doch, ein paar Jahre später, auf einer Reise nach Kanada, eine dumpfe Flugangst. Bilder verändern nicht nur die Welt, auch die Menschen, die auf ihr leben.

Heute ist 9/11 ein Punkt in der Geschichte, der grosse Wirkung gezeigt hat. Das Amerika vor 10 Jahren war ein Anderes als das, was wir heute sehen. Es gibt eine offizielle Aussage, was passiert ist. Und es gibt viele Fragen, die offen bleiben. So, wie die Geschichte gemacht wurde, ist sie mit Sicherheit nicht geschehen. Aber wer Zweifel äussert, gehört einer Minderheit an. Schliesslich gibt es gut und böse, und die Guten bleiben die Guten und die Bösen sollen die Schurken sein. Egal ob Grimm oder James Bond - es ist das Bild, das uns vermittelt wird. Doch schon Solschenizyn bemerkte passend: Keiner ist so gut, dass er immer gut ist und keiner so böse, dass er immer böse ist.

9/11 reiht sich für mich in eine Reihe von Ereignissen, die ich nicht so nehmen kann, wie sie uns erzählt werden. Sei es der Untergang der Lusitania, Pearl Harbor, JFK oder eben 9/11 - alles einschneidende Ereignisse, die einen Staat von mehreren 100 Millionen Einwohner umgekrempelt haben. Zu denen es eine offizielle Version der Geschichte gibt, die durchaus angezweifelt werden kann.

Das offizielle Amerika hat es einmal mehr verpasst, seine Geschichte aufzuarbeiten. Osama wurde mit einem Blattschuss beseitigt. Klar, ein Prozess hätte durchaus Unruhen mit sich bringen können. Doch er wäre eine Chance gewesen, die jüngste Geschichte eines Staates aufzuarbeiten. Stattdessen wurde die Chance einem schnellen Erfolg geopfert, das Ansehen eines der mächtigsten Männer ein wenig aufzubessern. Für einmal war ich mit der päpstlichen Meinung einig: Ein toter Mensch ist nie ein Grund zum feiern.

Dass die Mächtigen eines Staates ihre Einwohner für ein Ziel zu opfern bereit sind, konnten wir in Nähe miterleben. Jedes Mal, wenn ich nach Bologna komme, halte ich für eine kurze Zeit inne und denke an die Menschen, die im Bombenanschlag am Bahnhof ums Leben kamen. Die Mächtigen Italiens unternahmen jahrzehntelang alles, damit der Kommunismus keine Chance hat und sorgten dafür, dass Rechtsextreme einen Sprengsatz platzieren konnten und danach für lange Zeit unter Schutz blieben. Und doch, Italien hat die Chance genutzt, die Geschichte schmerzlich aufgearbeitet und gezeigt, dass die staatlichen Organe nicht so sauber waren, wie sie das zu vermitteln versuchten.

Heute halte ich es so, wie ein alter Bekannter so schön formuliert hat: Ich glaube an das Schlechte im Menschen. Nicht, dass ich jeden von vorn herein verurteilen würde, das liegt mir völlig fern. Aber ein gesundes Stück Misstrauen gegenüber der Geschichte, die uns in den Büchern und Zeitungen erzählt wird gehört einfach dazu.

Und sollte ich jemals wieder nach Manhattan oder Bologna kommen - ich werden für ein paar Minuten innehalten und an die Menschen denken, die da ihr Leben liessen.

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