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 Heiligabend 
Beat Geschrieben von Beat Rubischon (Link) am Freitag, 24. Dezember 2010, 05:21
aus dem *days-to-remember* dept.

In meinem bisherigen Leben gibt es ein paar ganz wenige Schlüsseltage. Ich erinnere mich an sie, teilweise mit Freude, teilweise mit Grauen. Sie haben etwas bewegt in mir, manches ziemlich grundlegend umgekrempelt. Bei den Wenigsten weiss ich das exakte Datum, eine grosse Ausnahme: Samstag, der 24. Dezember 1988.

Ich stand ab 7:45 im Bären, an der Löwenstrasse. Ein spezieller Samstag, schliesslich war es Heiligabend. Noch grün hinter den Ohren setzte man mich für einmal doch an der Front ein, schliesslich hatten schon einige altgediente Verkäufer bereits Ferien.

Der Tag war die Hölle. Ein Samstag, Abends die grosse Bescherung, Gazillionen von Kunden mit Bedarf nach einem Weihnachtsgeschenk. Einige von ihnen am Reklamieren, unser Labor mochte den grossen Andrang an den Tagen zuvor nicht bewältigen und viele Kunden vermissten ihre grossen Prints und die dicken Beutel mit den Fotos für die Enkel und Freunde.

Mein Umsatz war grandios. Ich erinnere mich, dass es einer der Tage war, an dem ich fünfstellig Geld eingenommen hatte. Eine Rarität für einen Stift im ersten Lehrjahr.

Kurz vor vier der letzte Kunde. An ihn erinnere ich mich besonders. Er stürmte in den Laden und raunzte den nächsten Verkäufer an - wir trugen damals weisse Laborkittel als Erkennungszeichen - was in dem Fall der kleine Beat war. Ein Fotoapparat. Mindestens 2000 Franken. Bitte gleich einpacken, ist ein Geschenk für meinen Neffen.

Nur gerade fünf Jahre zuvor war ich einer derjenigen, der eine Kamera auf die Weihnachten bekam. Ein langer Prozess, bis ich das in den Händen hielt, was am Besten passte. Es war eine Pentax K1000, eine mechanische Spiegelreflexkamera, ein 2.0/50mm, eine Bereitschaftstasche. Wenn Du damit klarkommst, kannst Du jede Kamera bedienen war die Motivation meines Vaters. Und er hatte recht damit. Mit dem Wissen aus meinen ersten paar hundert Filmen bediente ich Jahre später jede Kamera im Laden, kam mit meiner eigenen Hasselblad zurecht und machte in der Abschlussprüfung im Fach Warenkunde einen blanken Sechser.

Was wünscht sich denn der Neffe? Fotografiert er bereits? Was sind seine Interessen? Meine antrainierten und in diesem Fall von Herzen kommenden Fragen wurden einfach abgeschmettert. Einmal mehr die Randbedingungen: Mindestens 2000 Franken und bitte schön verpackt. Nikon? Canon? Pentax, Olympus? AF oder MF? Lieber einen teuren Body oder eine gute Linse? Alles kein Thema. Mindestens 2000 Franken und schön eingepackt musste sie sein.

Ich weiss nicht mehr genau, was ich ihm mitgegeben hatte. Wahrscheinlich eine Nikon F801 mit einer ordentlichen Linse. Auch schon damals waren 2000 Franken gar nicht so einfach zu verbraten, vor allem wenn man keine Idee hat, wofür es sein sollte. Ich machte noch ein nettes Paket, inmitten der bereits feiernden Belegschaft im Büro des Ladens. Kassierte, cash, frische Tausender aus der Bank. Der Buchhalter stand schon hinter mir und wollte endlich den Tagesabschluss machen und die Schublade in den Tresor packen.

Wenig später sass ich mit meinen Eltern um den Christbaum in der Stube. Leise Musik, wir waren total unmusikalisch, ein paar Pakete unter dem Baum. Ich guckte in die Kerzen, die Kugeln, hoch zum kleinen Engel an der Spitze der Nordmanntanne. Alles so unwirklich, alles so fremd. Noch ein Jahr zuvor war Weihnachten ein Fest mit viel Freude - nun lastete der Konsumrausch vom Tag auf mir. Ich hatte an diesem Tag die kindliche Freude an Weihnachten auf einen Schlag verloren.

Die nächsten Jahre waren durchzogen. Etwas später, vielleicht ein Jahr. Vielleicht der 25. oder 26. Dezember. Ich brachte Abends meine Grossmutter auf den Zug in Hauptbahnhof. Ging durch die beinahe menschenleere Stadt nach Hause. Sah all die Leute, für die an diesem Abend keine Weihnachten war. Obdachlose, Menschen ohne Familie, die sinnlos im Tram durch die Stadt reisten um ihre Welt und ihren Schmerz zu vergessen. Damals herrschten noch strickte Ladenschlussgesetze, Shopping oder auswärts Essen war kein Thema. Ich würde diese Menschen gerne meinen Kindern zeigen, doch sind sie heutzutage nicht mehr so offensichtlich auf der Strasse anzutreffen. Die Zeiten haben sich geändert. Nicht unbedingt zum Schlechten, vor allem für die Menschen, für die es keine Weihnachten gibt.

Noch einmal ein Jahr später, ich hatte ein Autobillet. Ich fuhr meine Grossmutter nach dem Christbaumanzünden nach Hause. Auf dem Heimweg machte ich einen Rank im Flughafen, trank einen Kaffee und genoss die so total unweihnachtliche Atmosphäre. Leben, Arbeit, Entspannung. Alles wie an einem ganz normalen Tag. Damals standen am Flughafen noch keine Dekorationen, keine Bäume, keine Weihnachtsmänner. Ich fühlte mich wohl in dieser Umgebung.

Noch etwas später. Ich hatte eine Freundin, war mit ihr noch kein Jahr zusammen. Mit einer Freundin feiert man Weihnachten. Und man schenkt ihr etwas. Die Brosche war einer der grossen Tiefpunkte in unserer Beziehung. Zeit heilt Wunden und darüber bin ich durchaus froh.

Diese Freundin wurde zur Verlobten, zur Frau. Wir drückten uns um Weihnachten, erkannten den vielen Zoff, der diese ach so harmonische Zeit auslösen kann. Luden Freunde ein, spielten nächtelang Quake. Klassische Deathmatches, Catch the Flag, Airquake und Soccer. So gar nicht weihnächtlich und doch eine der besten Erinnerungen, dich ich unter dem Stichwort Weihnachten in mir habe.

Die Kids wurden grösser, Ballergames zu etwas, was wir ihnen nicht antun wollten. Wir reisten. Wien, Liege, München. Wir versuchten auch richtige Weihnachten, mit Baum, Gesang, Abendspaziergang. Einmal war ich gar mit den Kleinen bei einer guten Freundin, feierte richtige Weihnachten mit allem, was dazugehört, inklusive Geschenke. Eine gute Erinnerung, auch wenn die Schatten von vielen Streitereien zwischen und mit den Kids das Bild ein wenig trüben.

Dieses Jahr ist ein Gutes. Weihnachten ist am Wochenende, zuvor und danach Arbeit, ganz wie üblich. Die aktuellen Tage sind gefüllt mit grossen Projekten, Nala steht im Laden und verkauft Dinge für die Menschen im Dorf. Ein ganz normales Wochenende, vielleicht da und dort einen bissigen Kommentar der Kids. Alle anderen feiern, warum wir nicht? Weihnachten feiern geht irgendwie nur, wenn man dabei ein gutes Gefühl hat. Sich an der Atmosphäre erfreut, den Geruch von Zimtsternen und Mandarinen in der Nase hat und das mit guten Erinnerungen verbindet. Mir sind diese verloren gegangen, für mich hat Weihnachten seinen Glanz verloren. Am Samstag, dem 24. Dezember 1988.

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Das Kleingedruckte: Der Besitzer der folgenden Kommentare ist wer immer sie eingeschickt hat. Wir sind in keiner Weise für sie verantwortlich.

  • pleoni@gmx.net Re: Heiligabend
    Geschrieben von Patrick Tigri am Montag, 17. Januar 2011, 14:13

    Noice one.