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 Lebensweisheiten 
Beat Geschrieben von Beat Rubischon (Link) am Montag, 6. April 2009, 22:29
aus dem *bücherwurm* dept.

Henri: „Warum eigentlich warst Du so darauf erpicht, mir mir zu schlafen?"
Nadine: „Um Dich kennenzulernen."
„Lernst Du Leute immer auf solche Weise kennen?"
„Wenn man mit einem schläft, bricht man das Eis. Man versteht sich doch dann viel besser als vorher, oder nicht?"

Diese Sätze legt Simone de Beauvoir in ihrem Roman Die Mandarins von Paris dem Henri und der Nadine in den Mund. Es ist Frühling in Paris, nach der Kapitulation Berlins. Henri ist noch nicht lange aus seinem Rausch aufgewacht, mit dem Nadine ihn ins Bett gebracht hat. Er will endlich wieder die Welt bereisen und sie, ganz junges Mädchen, ihn unbedingt begleiten.

60 Jahre später mag diese Diskussion seltsam erscheinen. Dazwischen lagen die frivolen 68er, aber auch das Auftauchen des Gespenstes AIDS. Und wir sind schon lange dem Krieg entronnen, der so manche Tat im Wissen um die eigene Vergänglichkeit rechtfertigte. Trotz Sex sells und halbnackten Mädchen überall hat das miteinander Schlafen in unserer Gesellschaft einen enorm hohen Stellenwert. Eigentlich nichts, was man mit einem flüchtigen Bekannten tut - und wenn doch, dann nur unter Alkoholeinfluss und mit anschliessenden Gewissensbissen.

Ist die Aussage wirklich so falsch? Mir ist mindestens eine Person bekannt, die danach lebt. Mir beinahe dieselben Sätze erzählt hat. Und ich erinnere mich an mehr als eine Begegnung, in der miteinander Schlafen das Eis gebrochen hätte.

Doch auch ich war - und bin es noch immer - viel zu treu vorsichtig schüchtern feige um so zu handeln. Früher wusste ich wenigstens nichts davon. Aber heute, nach dem Lesen des Buches und dem Markieren der Stelle, ist der Gedanke da. Purzelt durch meinen Kopf. Und hinterlässt einen Beat, der sich fragt, welche Ueberraschungen in seinem Leben noch stecken werden.

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Das Kleingedruckte: Der Besitzer der folgenden Kommentare ist wer immer sie eingeschickt hat. Wir sind in keiner Weise für sie verantwortlich.

  • Re: Lebensweisheiten
    Geschrieben von Bloggerin am Dienstag, 7. April 2009, 19:50

    Haha, sorry dass ich lache. Aber "Überraschungen" und "stecken" sind sehr zweideutig passend zum Thema.

    Ansonsten finde ich die Gedanken nicht mal so "daneben". Schon die Bibel beschreibt:
    "Und Adam erkannte sein Weib Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain."
    1. Mose 4,1

    Für mich persönlich habe ich aber den Weg gewählt, dies nur mit einem einzigen Menschen teilen zu wollen.



  • WildeOrchidee@gmx.ch Re: Lebensweisheiten
    Geschrieben von Wilde Orchidee (Link) am Mittwoch, 8. April 2009, 16:53

    Ich wünsche Dir noch ganz viele, tolle, spannende, erotische Erlebnisse!

    Und übrigens - eine gewisse Schüchternheit zieht Frauen ja förmlich an ;-)

  • achim.westermann@gmx.de Re: Lebensweisheiten
    Geschrieben von Achim Westermann am Mittwoch, 8. April 2009, 23:57

    Hi Beat,
    ich hab den Glauben nicht verloren, dass es sehr schön sein kann, mit jemandem noch nicht gut gekannten zu schlafen. Wenn einfach eine ganz tiefe Anziehung besteht. Ich habe das aber zwei mal gemacht und hab Schattenseiten gesehen:

    Ein mal war es nicht sehr dramatisch. J. und ich lernten uns kennen, fühlten uns gut an und gaben uns einander hin. Odd war nur, dass ich damit automatisch in die Kategorie fester Freund gerutscht schien und die folgenden 5 Nächte nicht mehr allein war. Ich kannte sie vorher nicht, war an meine Freiheiten gewohnt und erfuhr erst dann, dass ich mit J. als Individuum niemals allein war, sondern Ihr tief verbundene Menschen in intimsten Dingen mitschwangen. Das waren Lehrmeister und Familie. Wo war die J. als eigener Mensch? Wir kannten uns vorher nicht und ich entdeckte sie später. Wir nahmen etwas Abstand - ich war auch noch nicht wirklich gross genug in Sachen Liebe. Doch wir mögen uns immer noch.
    Das zweite mal war es nicht so gut. Wir schliefen miteinander sehr schnell. Vorher schon hatte ich von meiner Liebe zu meiner ersten und nun einzigen Partnerin erzählt. Durch unsere sehr schnelles miteinander Schlafen (es war sehr schön) und unsere zärtlichen Momente entwickelte sich auch schnell eine tiefe Bindung zu Ihr. Ich hatte die rosarote Brille auf, sie wollte mir gefallen und drückte Ihre Schmerzen bzgl. meiner anderen Liebe weg und klang akzeptieren. Ein halbes Jahr, dann kamen Forderungen, nächtliche Heulanrufe, wenn ich bei meiner ersten Liebe war, der das auch nahe ging. Dann krachte es.
    Weil wir uns verliebt hatten, haben wir unsere tief verwurzelten Differenzen aufgeschoben. Die hatten aber Bestand. Wir haben uns einander angepasst aus Liebe. Wir haben uns aber nicht ehrlich kennen gelernt! Wir haben uns angelogen, dass wir uns so akzeptieren, weil wir verliebt waren. Ich war nicht bereit, meine erste Liebe aufzugeben, sie war nicht bereit, mich zu teilen. Nach der Trennung, bei der sie gesagt hatte, dass sie sich melden würde, wenn sie mich als Freund akzeptieren könnte und einem Jahr Funkstille, in dem ich fast täglich an sie gedacht habe, habe ich letztens versucht, sie zu kontaktieren, weil ich zu viel Zeit dafür verbracht habe, an sie zu denken. Erst habe ich gebeten und es blieb still. Dann habe ich die ausbleibende Antwort - hab mir Sorgen gemacht - als Desinteresse gewertet und Ihr eine leicht kritisierende Abschiedsmail geschrieben. Es kam eine Antwort voll von Hass. "Geh, fick T., fick Ihren Mann, Ihre Katze oder alle Drei" stand darin. Sie hatte die Hoffnung aufgebeben und endlich ehrlich gesagt, wie sie dazu steht, dass ich mich nicht trenne von bestehenden Lieben zugunsten neuer Beziehungen. Sie war endlich ehrlich und hat sich nicht mehr zugunsten unserer Liebe verbogen.

    Daher kann ich dem miteinander Schlafen, um sich besser kennen zu lernen nicht mehr viel abgewinnen. Ich habe gesehen, dass das echte Kennenlernen in dem Fall später statt findet. Es kann passieren, dass man sich durch die Intimität ineinander verliebt. Das ist aber ein schönes Gefühl, für das man sehr kompromissbereit wird. Wirklich kennen lernt man sich nicht durch schnelles miteinader schlafen oder ineinander verlieben. Doch später dann, lernt man sich wirklich kennen. Und das kann weh tun. Verliebt sein sind wunderschöne Schmetterlinge, die im Herbst von uns gehen. Liebe ist eine Haltung, die auf Freundschaft und tiefer Akzeptanz und Sympathie besteht. Vielleicht auf Dauer nicht so aufregend, aber länger haltend. Ich hab gesehen, dass ich nicht auf Freundschaft zurückfallen kann, wenn die Liebesbeziehung nicht funktioniert und vorher keine Basis als Freunde da war. Und das tut weh, wenn man ernsthaft Gedanken über das Wohlergehen des geliebten Menschen hat.
    Ich baue nun ganz langsam erst Freundschaften auf und umgehe ONS. Ich schraube Glühbirnen ein, helfe beim Umzug, Esse zu abend, rede sehr viel. Auch wenn mal ein kleines Männchen im Kopf zu mir sagt, dass ich grosse Lust habe, ihr auch körperlich wohl zu tun und ich spüre, dass da auch Interesse ist.

    "Es ist ein weit verbreiteter Unfug, dass die Liebe über die Freundschaft gestellt wird und außerdem als etwas völlig anderes betrachtet. Die Liebe ist aber nur soviel wert, als sie Freundschaft enthält, aus der allein sie sich immer wieder herstellen kann. Mit der Liebe der üblichen Art wird man nur abgespeist, wenn es zur
    Freundschaft nicht reicht."
    - Bertolt Brecht -


    • rainer.tolle@freenet.de Re: Lebensweisheiten
      Geschrieben von Rainer am Freitag, 10. April 2009, 23:34

      Hi Beat,

      sag mal, kann es sein, daß diese eine Person, von der Du sprichst, ich bin? Auf jeden Fall würde ich die Frage: "kann es sein, daß miteinander zu schlafen das Eis bricht?" mit einem dicken "Ja!!!" beantworten.

      Aaber: es setzt voraus, daß beide (sofern es nur zwei sind, sonst: alle) Beteiligten ihr Verhältnis zur Sexualität, zu Gefühlen, eigener und gesellschaftlicher Moral sowie ihr Verhältnis zu weiteren (Liebes)partnern wenigstens soweit geklärt haben, daß hinterher für sie nicht der moralische Kater, Schuldgefühle, Irritationen den eigenen (Selbst)wert betreffend und Dilemmata zwischen Ehrlichkeit versus Betrug einsetzen. Kurz gesagt: man sollte sich vorher die möglichen Konsequenzen überlegen und sich fragen, ob man hinterher noch bereit ist, dazu zu stehen unabhängig davon, wie das Ganze ausgeht. Und das schließt mit ein, daß der Mensch, mit dem man sich darauf einläßt, möglicherweise diese Konsequenzen eben nicht bedenkt. Wenn es zu Verletzungen kommt, dann meist aus diesen Gründen. Es ist wichtig, daß ich in diesen Fragen bewußt bin.

      Idealerweise sollte es auch nicht aus einem Mangel entstehen (also: weil ich lange zurückgehalten habe und jetzt grad mal wieder unbedingt Sex *brauche*), sondern aus der Fülle befriedigender Liebe. Dahin gelange ich allerdings nur, indem ich schließlich irgendwo mal anfange ;-)

      Ich kann also verletzt werden, und das geschieht mir etwa jedes zweite Mal. Ich habe es aufgegeben, zu versuchen vorher herauszubekommen, ob das geschehen wird: ich kann es schlicht vorher nicht wissen. Dies Risiko einzugehen erfordert Mut. Doch mir persönlich ist es das wert, denn ich mache durch meine Offenheit in dieser Frage so viele wunderschöne Erfahrungen, darf in mehreren Liebesbeziehungen und -verbindungen zugleich leben, die sich größtenteils auch untereinander kennen und schätzen, ja sogar lieben, und kann trotzdem allen emotionalen Impulsen nachgehen, wo und wie ich es möchte. Diese Freiheit in meinem Leben möchte ich nie mehr missen. Sie macht mein Leben reich und erfüllt.

      Beat, ich wünsche Dir allen Mut, den Du brauchst, und viele wunderschöne Erlebnisse.

      Rainer