0x1b - ESCAPE
HTML PDF Postscript
 Vergangenheitsbewältigung 
Beat Geschrieben von Beat Rubischon (Link) am Mittwoch, 27. August 2008, 13:32
aus dem *one-way-ticket* dept.

Die DB AG hat noch eine Altlast aus den frühen Vierzigern - die Evakuationstransporte der deutschen Reichsbahn im Auftrag des Naziregimes. Juristisch wurde das Ganze nie richtig aufgearbeitet, ein schlechtes Gefühl bleibt trotzdem oder vielleicht gerade deswegen. Eine Wanderausstellung, die aktuell Halt in Frankfurt macht, soll diesen Aspekt des Krieges in Erinnerung halten.

Die eine Hälfte des eher zu dicht gedrängten Ausstellungsraumes gibt einer französischen Vereinigung Raum, die verschleppten Kindern ein Gesicht geben will. Viele Bilder lachender Kinder, jeweils mit einer kurzen Biographie, die in Auschwitz, Treblinka oder einem anderen Lager enden.

Die andere Hälfte beschäftigt sich mit den Transporten und der ganzen Organisation dahinter. Für mich noch viel erschreckender, als die Bilder der verfrachteten Menschen, ist die Tatsache, dass da eine wohlgeplante Bürokratie stattfand.

Jeder Jude wurde katalogisiert, überwacht, gezählt. Jede Aktion wurde detailliert geplant, durchgeführt und rapportiert. Da wurden nicht einfach Wagen hingestellt und namenlose Menschen hineinverfrachtet, sondern nach deutscher Methodik geplant. Die Routen wurden Tage, teilweise Wochen im voraus geplant, Lokführer und Bahnhofsvorstände aufgeboten, Wagenmaterial geplant. Ja selbst die Bezahlung der Rechtsbahn - obwohl staatliches Unternehmen - war in einem langen Papier definiert. Jede Minute Verspätung, jeder Mitfahrer wurde gezählt und statistisch erfasst.

Die Deportationen waren nicht einfach spontane, unorganiserte Aktionen einiger Nazis. Da wurde mit deutscher Gründlichkeit vorgegangen, unter Mithilfe von tausenden Staatsangestellten, Bahnarbeitern, Soldaten und Polizisten.

Wie sind all diese Leute nach dem Krieg damit umgegangen? Haben sie ihre Arbeit verdrängt? Oder ihre Einstellung in der modernen BRD einfach unter dem Deckel gehalten? Wie viele sind an ihrer eigenen Vergangenheit kaputtgegangen?

Das sind Fragen, die niemand stellt - die Opfer sind üblicherweise die einzigen, die eine Stimme bekommen. Allenfalls noch Leute, die in einen Prozess kamen und für ihre Taten in irgend einer Form bestraft wurden. Die anderen durften wahrscheinlich ein Leben führen, so lange sie schön still sind und die Wahrheit, die ihnen die Siegermächte diktiert haben, akzeptiert und nach Aussen vertreten haben.

Ganz versteckt, in einer dunklen Ecke, hing das Foto, das mich am Meisten faszinierte. Die Frontansicht des Bahnhofes Frankfurt, irgendwann Ende der 30er, während einem Besuch von Hitler. Oesterreich war gerade in der Abstimmung über den Anschluss an das Reich.

Exakt dieselbe eindrückliche Fassade, die ich knapp eine Stunde zuvor betreten habe. Geschmückt mit grossen Fahnen und einem Werbespruch für die NSDAP. Doch für einmal nicht eine schwarz-weiss Aufnahme, die für meine Generation das typische Merkmal der Vergangenheit darstellt - sondern ein Foto in leuchtenden Farben, perfekt erhalten. Schönes Wetter, wie draussen auch - das Foto sah aus wie gerade eben gemacht.

Sobald der Schutz des schwarz-weissen weg ist, bekommt die damalige Propaganda ein ganz anders Bild. Sie ist nicht mehr weit weg, sondern wirkt wie von jetzt. Man bekommt ein Gefühl dafür, welche Wirkung damit erzielt wurde - sowohl bei Linientreuen als auch bei potentiell Verfolgten. Die Wirkung muss durchschlagend gewesen sein.

Und einmal mehr meine Frage, was ist aus den beeinflussten Menschen geworden? Schlagartig war ihr Staat, der sie derart intensiv beeinflusst hat, weg und böse. Doch die Menschen lebten weiter, mussten ihren Weg finden. In einem neuen Staat, in einer neuen Wahrheit. Deportiert, nicht örtlich, aber Einstellungsmässig.

Die Meisten, die diese Zeit noch bewusst erlebt haben, sind nicht mehr. Eine Vergangenheitsbewältigung der Dinge, die diesen Menschen von ihrem ehemaligen Staat wie auch von den Siegermächten angetan wurde, wird nie stattfinden. Es werden Opfer der Geschichte bleiben, für die in den Büchern kein Platz ist.

Permalink

Das Kleingedruckte: Der Besitzer der folgenden Kommentare ist wer immer sie eingeschickt hat. Wir sind in keiner Weise für sie verantwortlich.

  • blog@thildkroete.de Re: Vergangenheitsbewältigung
    Geschrieben von Thilde (Link) am Mittwoch, 27. August 2008, 22:41

    Ganz OT: wenn du in F bist, kannst du dich gerne hier melden, wir freuen uns! :-)