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 Drogenmissbrauch 
Labberfaselbla Geschrieben von Beat Rubischon am Montag, 10. Oktober 2005, 18:24
aus dem totbaum dept.

Irgendwann packte Beni bei einer Liquidation alter Bücher in der Bibliothek Kerenzen Das Drogenbuch ein. Vermutlich gefiel ihm der Umschlag und er kam gar nicht auf die Idee, den Titel zu lesen. Im Gegensatz zu seinem Papi, der am Samstag nach dem Rasenmähen das Buch aus dem Regal holte und während Priska's Ausgang las.

Anfangs der 80er portraitierten Dieter Bogartz und Alexander Goeb zwei Karrieren von Drogensüchtigen (ISBN 3 499 14690 8). Peter und Hildegard. Ihren Weg in die Sucht, ihre Gefühle und Gedanken. Das Buch geht aber auch sehr direkt und teilweise provokativ auf die Situation in Schule, Ausbildung und Drogenprävention des Deutschlandes Ende der 70er ein.

Der extreme Leistungsdruck in der Schule, aber auch die Monotonie an Arbeitsplätzen ist ein Thema im Buch. Jeder gegen jeden. Keine Chancen, seine eigenen Ideen zu verwirklichen.

Die Autoren gehen aber nicht nur auf illegale Drogen ein, sondern beleuchten auch die unzähligen Alkoholiker, Raucher und Tablettensüchtigen in der damaligen Zeit. Ein grosses Kapitel setzt sich mit der Werbung auseinander und zeigt, durch welche Hintertürchen damals geworben wurde.

Als ich um halb Elf mit dem Buch durch war kamen so die einen oder anderen Erinnerungen hoch. Ich wuchs schliesslich in einem Zürich auf, das mit der Drogenszene auf dem Platzspitz Ende 80er zu Weltruhm kam. Wieviele Fernsehbilder kamen in den Tagesschauen? Irgendwann in meinem zweiten Lehrjahr war ich einmal da unterwegs. Mit einem sehr mulmigen Gefühl im Bauch begleitete ich ein paar Berufsschulkollegen, die Freunde in der Szene besuchten. Die Bilder meines Weges durch diesen Park werde ich wohl kaum mehr vergessen.

Wo sind diese Leute heute? Nach der Schliessung des Platzspitzes und des Letten verschwand die offene Drogenszene komplett aus dem Stadtbild von Zürich. Ausser einer Fixerin letzten Sommer im Schatten des Bundeshauses in Bern ist mir auch nie mehr jemand begegnet, der öffentlich spritzte.

Ein zweites Buch liegt auch noch im Regal. Wir Kinder vom Bahnhof Zoo. Der Klassiker. Ich las es am Sonntag, nicht zum ersten Mal. Vielleicht mit anderen Augen als vor etwa fünf Jahren.

Aber auch dieses Buch schildert soziale Probleme, die in den letzten Jahren nicht kleiner wurden. Der Wettbewerb in Schule, Lehre und Beruf wurde nicht kleiner, die Zukunftsaussichten gegenüber den 80ern und 90ern hingegen bedeutend schlechter: Wir hatten nach der Lehre die Gewissheit, einen Job zu kriegen. Wir konnten selbst für ein Jahr weg und hatten innert kurzer Zeit wieder eine Stelle. Heute faktisch undenkbar. Der Sozialstaat, und damit das letzte Netz vor dem Absturz, wird permanent abgebaut. Der Druck in der Schule bedeutend höher - man weiss, wer die Sekundarschule nicht schafft, ist auf dem Arbeitsmarkt praktisch verloren.

Und tatsächlich. Die Leute sind nicht weg. Wir sehen sie einfach nicht mehr. Egal ob man sich die Statistik des Unispitals ansieht oder die Zusammenstellung des Bundesamtes für Gesundheitswesens - die Situation ist heute vielleicht nicht mehr so akut, aber dennoch vorhanden.

Wer heute seine Nase in diese Bücher steckt und sich denkt, die Sache sei ausgestanden, irrt sich. Die Gesellschaft - damit sind wir alle gemeint - hat es bloss wieder einmal geschafft, sich die Augen zu verschliessen und auf Gute Laune zu machen. Die Probleme selbst sind und bleiben ungelöst...

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