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 Nur nichts zugeben 
Beat Geschrieben von Beat Rubischon (Link) am Mittwoch, 6. Mai 2015, 14:58
aus dem *wer-eine-reise-tut* dept.

Gestrandet in Frankfurt. Freiwillig würde ich kaum eine Reise unternehmen, wenn Streiks der Lokführer anstehen - manchmal bleibt mir nichts anderes übrig. Brav besuche ich die von der DB eingerichtete Webseite, sehe überall gelbe Punkte, die ein "vielleicht" bedeuten. Soll ich früh raus und gucken, ob ein Zug auf mich wartet? Oder gleich einen der ekligen Reisebusse buchen? Oder versuchen, mich zum Flughafen durchzuschlagen? Ich entschliesse mich dazu, am Vorabend der Rückreise einen Besuch am Bahnhof zu machen.

Ich schnappe mir einen Fahrkartenautomat und spiele mit dem Fahrplan. Er weiss ganz genau, welche Züge ausfallen, welche fahren und welche allenfalls verspätet sind. Der geplante Abstecher in den Ruhrpott lasse ich bleiben, eine knappe Tagesreise hin und eine zweite zurück sind mehr, als mein aktuelles Arbeitspensum zulässt. Die Verbindung nach Basel ist zwar dünn, aber immerhin alle zwei Stunden einen Zug. Ganz entgegen meiner Gewohnheiten reserviere ich mir einen Platz und lege mich kurz darauf friedlich schlafen.

Dienstagmorgen. Am Hauptbahnhof Frankfurt ist mächtig Chaos. Die Anzeigetafel weiss nichts von ausgefallenen Zügen, sie sind einfach ausgeblendet - im online Fahrplan finden sich weiterhin nur gelbe Punkte. Die lange Schlange vor der Auskunft zeigt, dass doch einige Reisende gestrandet sind und nach Alternativen suchen, diese selbst nicht finden können.

Nur nichts zugeben lautet heutzutage die Devise. Wer ein Problem hat, spricht nicht darüber - viel zu gross ist die Angst, Fehler zuzugeben. Als ich noch in die Lehre ging, wurde uns eingetrichtert, auch einmal ein "das weiss ich nicht" zu sagen, zu Fehlern zu stehen. Selbstverständlich um dann alles zu geben, um dem Kunden eine Alternative zu bieten. Als Kunde erlebe ich solches Verhalten als fair, bringe jemandem Wertschätzung entgegen, wenn er zu Fehlern und Problemen steht. Nichts ist ekliger, als im Unwissen gelassen zu werden. Scheinbar bin ich mich dieser Einstellung ziemlich alleine, wer ein Problem, ein Fehler offen zugibt, wird abgesägt.

Erst kürzlich erfuhr ich die Geschichte von dem Wissenschaftler am Cern, der Neutrinos gemessen hat, die schneller als Licht waren. Ganz Wissenschaftler sei er im Rahmen eines Kongresses vor die Leute getreten und von seiner Messung berichtet - auch für ihn war klar, dass er ein Problem hat und bat die Anwesenden, ihm bei der Suche nach der Lösung zu helfen. Für diese Offenheit sei er entlassen worden.

Nur nichts zugeben - auch ich muss mich wesentlich häufiger danach richten, als mir lieb ist. Gerade in der Computerbranche ist diese Devise tief verwurzelt, spätestens da, wo der Einfluss amerikanischer Firmen gross ist. Zugeben ist in dieser Kultur immer eine Art Selbstanzeige, die zu enormen Schadensersatzklagen führt - also nur nichts sagen, dann kann man auch nicht haftbar gemacht werden.

Schade, schwappt diese Philosophie so stark nach good old Europe. Die grossen internationalen Firmen werden immer grösser, wer heute etwas von sich hält, hat eine amerikanische Niederlassung und muss sich deren Regeln und Usanzen unterwerfen. Wer von solchen Riesen abhängig ist, muss viel Papier unterschreiben und still bleiben. Die Dreibuchstabenabkürzung NDA sorgt dafür, dass bei einem falschen Wort Köpfe rollen.

Nur nichts zugeben - leider durfte ich diese Philosophie kürzlich hautnah im persönlichen Umfeld miterleben. Es gibt erstaunlich viel Hilfe bei körperlicher und seelischer Schwäche - wenn man diese zugibt. Verstecken der eigenen Unzulänglichkeiten, vielleicht sogar kombiniert mit einem Selbstbetrug, verschliesst diese Hilfe. Als Nahestehender bleibt mir in diesem Fall nur übrig, mich abzugrenzen - jemandem zu helfen, der sich nicht helfen lassen will, macht nur den Helfer kaputt.

Auch wenn Herr DB aus lauter Angst vor Rückerstattungsforderungen, schlechter Presse oder einem Fall der eigenen Aktie alles unternimmt, seine Kunden im Dunkeln zu lassen - die Abteilung, die Ticketautomaten programmiert, hat sich nicht daran gehalten. Durchaus sinnvoll, schliesslich ist nichts doofer als ein Ticket zu verkaufen, welches danach gleich umgetauscht werden muss. Mein Zug fährt pünktlich in Frankfurt los und bringt mich reibungslos nach Basel.

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Das Kleingedruckte: Der Besitzer der folgenden Kommentare ist wer immer sie eingeschickt hat. Wir sind in keiner Weise für sie verantwortlich.

  • christof@buergi.lugs.ch Re: Nur nichts zugeben
    Geschrieben von P2501 (Link) am Freitag, 8. Mai 2015, 12:47

    Naja, das Problem mit dem CERN-Wissenschaftler war meines Wissens nicht, dass er die Fehlmessung veröffentlichte, und andere Wissenschaftler um Gegenprüfung bat. Das ist Usus.

    Das Problem war die in der Veröffentlichung gewählte Formulierung. Für einen Laien wirkte die nämlich eben nicht danach, dass es sich wahrscheinlich um eine Fehlmessung handelte, sondern im Gegenteil dass die Messung wahrscheinlich stimmt. Dementsprechend waren am nächsten Tag die Zeitungen voll mit Sensationsmeldungen um die gebrochene Lichtgeschwindigkeit und die Widerlegung Einsteins. Und das hat dem Ruf des CERN ziemlich geschadet, als klar wurde, dass es eben doch nur eine Fehlmessung war.

    Wobei: Für die Verschwörungstheoretiker ist natürlich klar, dass die Messung richtig war, und nur versucht wird, das zu vertuschen, weil JENE keinen Zweifel an Einstein zulassen. ;-)