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 Mann und Frau 
Beat Geschrieben von Beat Rubischon (Link) am Montag, 28. Juli 2014, 06:28
aus dem *lang-ists-her* dept.

Manche Leute jammern, dieser Sommer sei ihnen viel zu nass. Chabis, vor 20 Jahren war es noch viel schlimmer! So schlimm, dass ich mir Gummistiefel und Schnorchel auf meinen Autofahrten zwischen Obstalden und Dietikon wünschte und sehnlichst mein neuer (und dank fehlender Rostlöcher wasserdichter :-) Sugi erwartete. Immerhin, am 28. Juli 1994 war es sonnig und trocken. Ich fuhr gegen Mittag nach Hause, um meine damalige Freundin ein für alle mal loszuwerden.

In der guten alten Zeit war Obstalden noch eine eigene Gemeinde, das Standesamt in einem alten Raum mit Seesicht im Schulhaus einquartiert und von einer Teilzeitstandesbeamtin betreut. Unser Aufgebot schon länger hinterlegt, unser Wunsch nach Vermählung im Amtsblatt publiziert und in den Aushängen unserer Wohngemeinde Obstalden und den Bürgergemeinden Zürich, Baden und Remigen aufgelistet. Niemand erhob Einspruch, wäre auch schwierig gewesen. Wir waren noch jung und standen beide zum ersten Mal vor diesen Schritt.

Der Termin entstand aus Blödsinn und der schwierigen Planung "meines" Pfarrers. Er hatte ein Jahr voraus bereits viele Termine, der 27.8. blieb übrig. Als uns die Standesbeamtin fragte, wann wir denn zivil heiraten wollten, wählten wir den 28.7. Praktisch, solche Daten vergisst man kaum. Schon gar nicht, wenn der Erstgeborene dann auch noch am 27.8. Geburtstag hat.

So sassen wir nun in dem Schulhaus, blickten auf Churfirsten und Walensee, hörten den Worten zu. Klar, ein bisschen nervös waren wir wohl schon, sowas macht man normalerweise nicht allzu oft. Wir waren beide überzeugt davon, auf absehbare Zeit Kinder zu haben und glaubten daran, dass die Elternschaft verheiratet bedeutend einfacher sein würde. Der Gedanke, als Frau Vogt einen Sohn Rubischon bzw. als Herr Rubischon eine Tochter Vogt in die Schule zu bringen, fiel uns schwer.

Vor uns stand eine Topfpflanze, ein Geschenk der Gemeinde: "Wie eine Liebe muss auch sie gehegt werden, damit sie wachsen und gedeihen kann." Guter Gedanke. Als die Pflanze ein paar Monate später umstand hofften wir beide, unsere Liebe vielleicht doch etwas besser gehegt und gegossen zu haben.

Damals war das Aufgebot noch keine rechtlich bindende Geschichte und so wurden wir brav gefragt, ob wir den Partner zum Mann bzw. zur Frau nehmen möchten. Ein grosses Papier trug bald unsere Unterschriften - die erste rechtsgültige Unterschrift der Priska Elisabeth Rubischon-Vogt - und diejenigen der beiden Trauzeugen. Noch ein kleiner Apéro im Vorgarten unserer Wohnung, danach zurück in das normale Leben. Kleine Spuren blieben, meine Frau trug einen neuen Namen, ich hatte keine Freundin mehr.

20 Jahre später weiss ich, wie naiv ich damals war. Wir lernten in der Berufsschule Begriffe wie Errungenschaftsbeteiligung, hatten einen kleinen Seitenblick auf die Mühen einer Scheidung (vielleicht ein Thema meines Lehrers? Er äusserte sich nie dazu). Die solidarische Haftung beider Partner war uns damals bewusst, das damit verbundene Risiko viel später aufgerochen. Zum Glück habe ich eine Partnerin gewählt, die in finanziellen Dingen ganz ähnlich tickt wie ich und wir haben uns in diesem Bereich nie Gedanken machen müssen. Auch die Tatsache, dass mann als Ehemann automatisch Vater eines Kindes seiner Frau ist, war für uns kein Thema - die beiden Kleinen tragen definitiv meine Gensammlung, in Gutem wie in Schlechtem. Für Beides wäre keine Hochzeit nötig, Geld und Kinder müssen nicht in einem staatlich vorgegebenen Vertrag geregelt werden. Ein kleiner Mietvertrag für eine Wohngemeinschaft regelt das Geld, eine Unterschrift nach der Geburt und der Sohn oder die Tochter sind meine.

Was verheiratet sein bedeutet, war nicht nur uns ein grauer Nebel. Während meiner Suche nach einer Wohnung sind mir unzählige Menschen begegnet, die sich nicht bewusst waren, dass der Ehepartner in seiner solidarischen Haftung mitbestimmt, auch wenn er selbst nicht an dem Ort lebt. Dass meine Frau den Mietvertrag mitunterzeichnen muss, war niemandem in der Verwaltung bewusst. Genauso die Frau der Einwohnerkontrolle, die erst tief in ihrem angestaubten Wissen grübeln musste. Bleibt noch das Steueramt, als Ehepaar gibt es nur einen Steuersitz und ich freue mich auf die Diskussion nächsten Sommer, sollte ich meinen Zweitwohnsitz in einen Erstwohnsitz umwandeln wollen.

Richtig komplex ist es erst in einem Todesfall, das Erbrecht ist der einzige Bereich, in dem der Zivilstand einer Person einen grossen Einfluss übt. Plötzlich tauchten Fragen auf wie "was hat Ihr Vater in seine Ehe eingebracht?" Hey, erinnern wir uns daran, was wir vor 20 Jahren und einem Tag besassen? Warum zum Teufel wurden wir nicht aufgefordert, eine detaillierte Inventur unseres Besitzes zu machen? Ueber die Errungenschaft kann der Erblasser entscheiden, ohne Testament wird sie 50/50 zwischen Partner und Nachkommenschaft aufgeteilt, testamentarisch kann der Anteil für den Partner auf 100% erhöht werden. Das Eigengut wird zwingend 50/50 geteilt, Testamente und selbst Ehe- und Erbverträge können bei unkooperativen Erben in die Tonne wandern. Ohne notariell beglaubigtes Einverständnis der Kinder müsste meine wie auch Nala's Mutter unter der Brücke schlafen - definitiv nicht die Absicht ihrer Ehemänner. Auch nicht meine Absicht, ich wünsche daher meiner zukünftigen Witwe kooperative Erben.

Dass eine Ehe nicht automatisch die Liebe fürs Leben bedeutet, sehen wir in unserem Bekanntenkreis, ich kenne aktuell gerade noch ein Paar, das länger zusammen ist und bei dem es nicht offensichtlich kriselt. Liebe ist wie eine Pflanze, sie muss gehegt und gepflegt werden, um zu wachsen. Aber nicht jede Pflanze fühlt sich in jedem Umfeld wohl, ein Kaktus krepiert in unserem Garten, während sich die Brennnesseln von selbst verbreiten. Auch halten Pflanzen nicht ewig, manche blühen einen Sommer und verdorren, andere überleben den einen oder anderen Winter, ganz wenige wachsen über Jahre. Und doch herrscht in unserer Kultur die felsenfeste Ueberzeugung, dass gerade die Liebe, die da vor dem Altar steht, einer Tanne gleicht, die 100 Jahre im Wald allen Gefahren trotzt. Doch so manche Liebe ist ein Kaktus im Schnee, eine nach dem Sommer absterbende Tulpe oder ganz einfach ein Lavendelbusch, der nach einem dutzend Jahren verdorrt. Und dann wird es kompliziert, wenn die Verknüpfung zwischen Liebe und Zivilstand in den Köpfen verankert ist und das Lösen des einen auch das Lösen des anderen bedeutet.

20 Jahre sind wir nun Mann und Frau. Wir feiern diesen Tag, Nala in Obstalden, Beat in Zürich. Verbunden durch einen staatlich abgesegneten und von Zeugen unterschriebenen Vertrag, an dem wir nichts ändern können, ohne die Früchte unseres gemeinsamen Lebens zu ruinieren - aber auch einem Zustand, an dem wir beide nichts ändern wollen. Uns verbindet ein tiefes Vertrauen, ein inniges Zusammengehörigkeitsgefühl, das auch über die Distanz wirkt. Etwas, was für uns Liebe ist, ganz anders als in Hollywood, dafür passend auf die beiden Individuen, die wir sind. Wir haben eine gemeinsame Kasse, ein gemeinsames Haus, unzählige Erinnerungen, eine Familie. Wir kennen unsere Stärken und Schwächen, wissen über die Unterstützung des Partners in Situationen, in denen wir selbst nicht zurecht kommen. Dass wir gerade nicht zusammenleben mag Aussenstehenden verwunderlich erscheinen. Es fühlt sich richtig an, in diesem Moment, in unserer aktuellen Situation.

Nala ist die Frau meines Lebens, dessen werde ich mir beinahe täglich erneut bewusst. Und ich bin überzeugt davon, dass sie das bleiben wird - diesen Platz wird niemand anderer mehr einnehmen können. Egal ob mit Eheschein oder ohne - letzterer ist sowieso verschollen, zumindest das Original, welches wir vor 20 Jahren bekamen :-)

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