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 Digiknipsen 
Fotografieren Geschrieben von Beat Rubischon (Link) am Mittwoch, 17. Dezember 2008, 21:35

Am Montagabend guckte sich Papi zusammen mit der Tochter ihre kürzlich gemachten Fotos an. Ich sehe durchaus noch etwas Entwicklungspotential, auch wenn Maja meinte: Du häsch doch gar kei Digicäm und drum doch au kei Ahning. Irrtum Maja :-)

Es war September 1994. Ich stand am Minolta Stand mitten in der Photokina und erzählte den Leuten von Kameras, Linsen und Belichtungsmesser. Abends gab es jeweils zu Futtern und viel Kölsch, einmal sogar einen Ausflug in's Hochaus von Köln. Damit keine Gerüchte aufkommen: Ich habe nur geguckt ;-)

Unter vorgehaltener Hand zeigten die Japaner ihren neuesten Prototypen. Auf der Basis einer Dynax 500si hatten sie eine Digicam gebastelt, die eine ähnliche Aufgabe wie die durchgeknallten Autos am Autosalon haben: Präsentieren der eigenen technischen Fähigkeiten.

Unser Chef setzte sich dafür ein, dass es nicht bei einem Prototypen blieb. Eine kleine Serie von mehrheitlich handgearbeiteten Kameras wurde aufgelegt. So kam es, dass ich kurz vor der Digital Imaging im Frühling '95 plötzlich mithalf, eine neue Abteilung aufzubauen.

RD-175

Ein Mac, ein PC, zwei grosse Monitore. Und zwei der brandneuen Minolta RD-175 begleiteten uns an einen winzigkleinen Stand im Kongresshaus. Trotz des sagenhaften Preises von - ich erinnere mich dumpf - 17'000.- war das Interesse riesig.

In den folgenden Monaten half ich eifrig mit, mein Wissen im Bereich SCSI, PCMCIA, LAN und Betriebssystemen einzubringen. Unser damaliger PM wurde im Nu zum Digitalprofi und verkaufte viele dieser Kameras. Ich blieb als EDV Guru im Hintergrund, hatte dann und wann einen Auftritt an Messen und Präsentationen.

An der Photokina '96 war die Produktepalette schon etwas grösser. Nebst der professionellen RD-175 gab es einen Diascanner und eine Amateurkamera. Und natürlich einen Webauftritt, für den ich meine ersten HTML Kenntnisse erwarb. Wenn ich den Code und die Texte heute lese, wird mir beinahe übel :-)

In der Zeit dazwischen gab es auch eine Schulung für Fotohändler. Wir verlegten 120m RG58 in einer Nacht- und Nebelaktion über die Dächer um im Schulungsraum Internet zu haben. Alle Schulungsteilnehmer quälten sich über eine 57.6kbit Dial-Up Leitung - aber hey, das war damals der Hammer. Noch Jahre später bekamen wir viele positive Feedbacks zu dem einzigartigen Workshop.

Auch in dieser Zeit entstand mein erstes richtiges Linux Programm. Wir hatten Kunden, die im Batch die rohen Bilder der RD-175 zu Archivzwecken konvertieren wollten. Die Plugins aus Japan konnten das nicht und so schrieb ich den MDC2TIFF Konverter. Auf die Orbit 1995 erweiterte ich den Code und erstellte ein richtiges Gimp Plugin. So war die Minolta wohl der erste Anbieter von Digitalprodukten, die vollen Linux Support boten.

Gerade mit diesem Programm bekam ich aber auch die Skepsis der Erschaffer der Kamera zu spüren. Irgendwann flatterte ein Brief in unser Büro und wir mussten das Programm von der Webseite nehmen. Die Qualität war nicht mit dem Photoshop Plugin zu vergleichen - dieses machte mittels unscharfem Maskieren noch etwas bessere Bilder. Da ich das Plugin in Eigenregie entwickelt hatte, kam es auf meinen privaten Server und nach Produktionsschluss der Kamera stellte ich auch die Sourcen unter die GPL.

Die Skepsis ging weiter. Es gab keine käuflichen Neuentwicklungen, während die Konkurrenz mächtig aufholte. Und so verlor Minolta den Anschluss, obwohl sie zu Beginn eine absoluter Trendsetterin war. Geblieben sind viele Erinnerungen an Ausstellungen, hunderte von Demos, Gesprächen und Bildern. Gute Erinnerungen an eine tolle Zeit in einem grossartigen Team.

Diesen Herbst war ich wieder einmal in Köln. 20 Jahre nach meiner ersten Photokina, 12 Jahre nach meiner letzten. Minolta ist nicht mehr, die Produkte sind zu Sony übergegangen. Ich hielt etwas wehmütig eine Alpha 900 in den Händen, der Verkäufer vor mir machte wohl noch knapp in die Windeln, als der Urahn dieser Kamera das Licht der Welt erblickte. Es ist ein würdiger Nachfolger, auch wenn das Produkt heute wohl von ganz anderen Menschen entwickelt und verkauft wird.

Und so kann ich mit gutem Gewissen Maja widersprechen. Ich habe zwar keine eigene Digiknipse, aber ich habe mich mit dem Thema intensiver beschäftigt als manch anderer. Ich hatte solche Kameras in den Händen, als noch niemand daran glaubte. Und als die Kameras noch viel vom Fotografen forderten und nicht einfach gute Bilder lieferten.

Manchmal werde ich gefragt, ob ich meinen aktuellen Job bis ans Lebensende machen wolle. Und was ich denn tun will, wenn ich irgendwann nicht mehr an Computern schraube. Gerade letzten Samstag ist mir das passiert und ich musste nicht lange überlegen: Warum nicht wieder an die Front, Fotoapparate verkaufen? Das Wie ist noch immer tief drinn, der Spass auch. Nur schade, dass man damit auch heute noch keine Familie durchbringt...


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