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 Helvetische Republik 
Beat Geschrieben von Beat Rubischon (Link) am Sonntag, 28. Januar 2007, 22:09
aus dem manipulierte-geschichte dept.

Nachdem unsere Kids in der Schule das Thema Glarnerland hinter sich gebracht hatten, bekam Papi das Glarner Heimatbuch zum Lesen. Geschichte ist doch etwas Grossartiges, wenn man sie nicht für eine Prüfung lernen muss :-)

Die doch eher freiheitsliebenden Glarner hatten in ihrer Geschichte ein paar spezielle Augenblicke. Sei es die Schlacht bei Näfels oder der Druchmarsch der Truppen unter General Suworow. Da waren aber auch dunkle Kapitel, wie beispielweise die Vogtei Werdenberg, deren Einwohnern den Glarnern zwischen 1517 und 1789 Leibeigene waren.

Das Jahr 1798. Stichworte Helvetik, Napoleon. Ansonsten schwarzes Loch in meiner Schweizer Geschichte. Wir hatten in unseren Geschichtsstunden die Helvetier und ihr Kampf gegen die Römer, dann irgendwann den Rütlischwur und die grossen Schlachten gegen die Habsburger, ein paar Blicke auf die Reformation unter Zwingli und dann gleich den ersten und zweiten Weltkrieg. Wenigstens hatten wir gerade in der letzten Zeit eine Lehrerin, die nur aushilfsweise bei uns war und ihren Ruf nicht allzustark kaputtmachen konnte - so war beispielsweise das stalinistische Russland ein grosses Thema.

Heute gibt es Wikipedia. Und den seit heute Morgen als exzellent markierten Artikel über die Helvetische Republik.

Nach dem Vertreiben der habsburgischen Vögte waren die Urschweizer direkt dem deutschen Kaiser unterstellt. Das ging einigermassen gut bis zu dem Augenblick, als die Reformation das Land spaltete. Als überaus einflussreiche Macht war die Kirche Initiatorin vieler Konflikte und bürgerkriegsartigen Wirren. Irgendwann ging ein Hilfeschrei an Napoleon, seine Truppen besetzten 1798 die zerstrittenen Kantone und er brachte per Dekret eine Verfassung in den neuen, République helvétique genannten Staat.

Selbstverständlich hat das nicht funktioniert. Verschiedene Staatsstreiche wurden durchgezogen, mehrere Verfassungen entworfen, Grenzen umgezogen. 1803 wurde das neue Staatsgebilde definitiv bachab geschickt und die vormalige Ordnung mehr oder weniger wiederhergestellt.

Die folgenden Jahre waren geprägt von Unzufriedenheit und Bürgerkriegen. Bis zum Sonderbundskrieg, als dessen Folge 1848 in extrem kurzer Zeit der bis heute existierende Bundesstaat entstanden ist.

50 Jahre, die in meiner Geschichte gefehlt haben. Ein halbes Jahrhundert, geprägt von äusseren Einflüssen, Besetzungen, Bürgerkriegen. Eine "Schweiz", die nicht wusste wohin, unter Kontrolle eines grösseren Staates. Tote Soldaten, verhungerte Bauern, versklavte Bürger.

Gar nicht die freie Schweiz, die schon zu Römerzeit einen König abgelehnt hat. Sich 1291 von jeglicher äusseren Kontrolle abgetrennt hat, 2000 Jahre einig zusammenstand im Kampf gegen die Einflüsse von aussen.

Je mehr ich in der Geschichte grüble und dazu die heutigen vorhandenen Mittel nutze, desto mehr sehe ich die ausgefeilte Propagandamaschinerie, die mich noch in den 80er Jahren zu beeinflussen versuchte. Die heroischen Geschichten, die Freiheit und Einigkeit, die uns vermittelt wurde - sie war schlicht nicht vorhanden. Ja selbst die bewaffnete Neutralität, die uns doch so viel bedeutet hat, nichts anderes als eine Folge der militärischen Unfähigkeit ab dem 16. Jahrhundert.

Wir sollten dazu gebracht werden, ohne zu Murren unseren Militärdienst zu leisten und damit die Idee eines Réduit zu stützen - eine Idee, die letztendlich nur die Existenz der Schweizer Eidgenossenschaft, nicht aber ihrer Einwohner sichergestellt hätte. Eine Idee, die ihre bizarrsten Auswüchse in den 50ern hatte, als unsere damalige Regierung und Generalstab Atombomben bauen oder beschaffen wollten. Sie wollten aus dem Réduit heraus den Feind im Mittelland beschiessen. Ein Feind, der sich mit grösster Garantie in den grossen Städten im Mittelland niedergelassen und unter die dort heimische Bevölkerung gemischt hätte.

Was mich am meisten schockiert ist die Erkenntnis, dass eben diese Propaganda bei mir funktioniert hat. Ich antwortete mit zarten 19 Jahren auf die Frage des Aushebungsarztes, ob ich überhaupt Militärdienst leisten wolle, mit einem stolzen Ja. Ich stürzte mich kopfvorüber in diese Maschinerie, wurde ein zwar nachdenkliches und kritsches, aber dennoch williges Werkzeug. Ein Werkzeug, das jederzeit einem wahnsinnigen Politiker zur Hand gegangen wäre.

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  • http://der-verwerter.ch/~dissident Re: Helvetische Republik
    Geschrieben von dissident (Link) am Montag, 29. Januar 2007, 00:56

    Verständlich, ich nenne dies gestelzt Geschichtsrevisionismus, man legt also die eigene Geschichte so zurecht, dass man sich damit auch identifizieren kann. Freilich wird vieles nostalgisieren und heroisiert, doch spätestens heute sollte bekannt sein, dass die Schweiz nur bedingt als Vorbild taugt.

    Zum Militärdienst, ich war etwa eine Stunde anwesend, ehe man mir riet, den Militärdienst zu vergessen, es sei denn, ich könnte mich einer totalen und nachhaltigen Gehirnwäsche unterziehen. Unglücklich darüber war ich nie.

    • beat@0x1b.ch Re: Helvetische Republik
      Geschrieben von Beat Rubischon (Link) am Montag, 29. Januar 2007, 20:38

      Zum Militärdienst, ich war etwa eine Stunde anwesend, ehe man mir riet, den Militärdienst zu vergessen, es sei denn, ich könnte mich einer totalen und nachhaltigen Gehirnwäsche unterziehen. Unglücklich darüber war ich nie.

      Ich hoffe für Dich, dass Du dem Filz entkommen bist und im zivilen Leben nicht auch eine totale und nachhaltige Gehirnwäsche empfohlen bekommen hast :-)